Das Ende des 2. Weltkrieges und die Nachkriegszeit
von Marianne Schröder, geb. Wichern (1939 in Deepen 5)
Meine Erinnerungen an die Kriegsjahre gehen in den Sommer 1943 zurück. Ich war bei Miesners Oma (Anm.: Deepen 3). Ein Soldat kam mit einem Fahrrad. Es war Papa! Er nahm mich mit. Wir fuhren direkt ins Keenmoor, wo die Großeltern, Mama und Garbers Mama beim Heuaufladen waren. Ein anderes Mal, es war im Januar 1944, ging ich abends auf die Diele. Da stand ein Mann mit langem Mantel. Papa! Am 19. Januar feierten Oma und Opa Silberhochzeit. Papa war so von den Kriegserlebnissen geschockt, dass er nicht tanzen und feiern konnte. Am 12 Januar 1945 fiel er bei Wesel am Niederrhein.
In den Kriegsjahren arbeiteten zwei Gefangene aus Frankreich auf unserem Hof. An Ferni (Ferdinand Michau) kann ich mich noch gut erinnern. Wenn die Gefangenen aus Deepen abends mit der Arbeit fertig waren, trafen sie sich bei uns und gingen oder fuhren gemeinsam nach Ostervesede zu Leuenroths Gaststätte, wo sie nachts auf dem Saal schliefen.
Eigentlich durften die Gefangenen nicht mit uns gemeinsam am Tisch essen. Wir hatten daher für alle Fälle einen zweiten Tisch. Ferni aber aß mit bei uns am Tisch. 1986 kam er noch einmal zu Besuch. Wir konnten uns nur nicht recht unterhalten, er verstand kein Deutsch mehr. Nur über seinen Neffen, der mit hier war, ging das etwas.
Oft gab es nachts Fliegerangriffe. Dann saßen wir in der Küche im Dunkeln oder nur bei Kerzenlicht; die Verdunkelungen wurden ganz dicht gemacht. Bei den Bombenangriffen auf Hamburg und Bremen war der Himmel ganz hell und rot. Bei uns wohnte Oma Rienus aus Bremen, deren Wohnung zerstört worden war. Die Tiefflieger kamen auch am Tag immer öfter. Als wir um den 15. April 1945 die Rinder auf die Weide brachten, flogen sie auch über uns hinweg. Wir suchten schnell im Graben Deckung. Die Rinder blieben ganz still stehen.
Alle Höfe in Klein Deepen waren mit deutschen Soldaten belegt. Unter dem Schirm unseres Torfschupppens hatten sie eine Feldküche aufgebaut; von hier holten sie sich ihr Essen. Einige von ihnen fragten genau nach, wo vielleicht noch andere Soldaten waren und was so alles passierte. Unter ihnen war ein Spion, der nach Lünzen zu den Engländern fuhr und die deutschen Soldaten verriet. Beim Einzug der englischen Panzer soll er ganz vorn auf dem Panzer gesessen haben. Die Soldaten, die hier bei uns einquartiert waren, waren zum Teil sehr jung und rückten bald wieder ab. Hinter Scheeßel, bei Westersch, wurden sie von den Engländern eingeholt.
Im Winter 1944/45 kamen lange Flüchtlingstrecks durch Deepen. Nachts schliefen viele von ihnen auch bei uns in der Diele auf Stroh. Im Februar 1945 wurden wir aufgefordert, eine Familie aus der Osterveseder Schule bei uns aufzunehmen. Opa und ich holten Else Ebert und ihre drei Töchter mit dem Ackerwagen ab. Hildegard war acht, Gisela vier und Ingrid zwei Jahre alt. Ich erinnere mich noch, dass ich eine Familie mit vielen Kindern wollte, da ich doch keine Geschwister hatte. Die Kinder waren alle erkältet. Ingrid hatte eine Lungenentzündung. Bis unser Wohnhaus im April 1945 abgebrannt ist, haben Eberts bei uns gewohnt. Dann zogen sie zu Behrens Nr. 12.
Vor dem Einrücken der Engländer haben unsere Einwohner weiße Tücher und Laken in die Bäume gehängt als Zeichen, dass hier keine deutschen Soldaten waren. Am 18. April 1945 rückten die Engländer mit Panzern in Deepen ein. Unsere Familie war gerade beim Kartoffelsortieren. Wir Kinder spielten auf dem Hof und hörten das ununterbrochene Schießen. Wir konnten sehen, wie das Dach von Petersens unbewohntem Häuslingshaus zu brennen anfing. Ferni brachte die Pferde in den Stall und fuhr mit einem Fahrrad nach Ostervesede ins Gefangenenlager.
Im Keller standen Koffer und Kisten mit Zeug und Geschirr. Einige Blechkästen und eine Holztruhe hatten wir im Hühnerstall eingegraben. Das Schießen kam näher. Die heranfahrenden Panzer waren jetzt deutlicher zu hören. Sie kamen aus südöstlicher Richtung. Wir, das waren meine Großeltern, Mama und ich sowie Frau Ebert mit ihren drei Töchtern, haben in unserem Kartoffelkeller im Schweinestall Schutz vor dem feindlichen Angriff der englischen Panzer gesucht. Aus dem Kellerfenster sahen wir, dass die Panzer nun auch schon in nördlicher Richtung hinter uns waren. Mama machte vorsichtig die Kellerklappe hoch und wollte nach draußen sehen. Im selben Moment wurde sofort auf die sich bewegende Tür geschossen – nur knapp an Mamas Kopf vorbei. Plötzlich sehen wir, dass unter den Dachpfannen unseres Hauses Rauch qualmte. Opa und Oma liefen in den Kuhstall und wollten die Kühe losbinden. Zwei haben sie losgekriegt. Eine schaffte es noch, die andere lief weiter in den Stall. Eine weitere Kuh konnte sich losreißen und kam auch nach draußen. Sie hatte eine große Brandstelle auf dem Rücken, die noch Jahre danach zu sehen war. Fünf Kühe und zwei Pferde verbrannten. Vor den Pferdeställen war eine Brandbombe heruntergekommen, so dass die Tür nicht mehr geöffnet werden konnte. Die Pferdegeschirre und die Fahrräder sind alle verbrannt. Nur das Rad von Ferni, mit dem er nach Ostervesede gefahren war, blieb uns erhalten.
Durch alle die Erschütterungen drohte eine Zimmerdecke unseres Hauses einzustürzen. Wir holten daher alle Möbel und das Geschirr nach draußen in den Garten, in dem die Zwetschgenbäume in voller Blüte standen. Schränke, Tische und Stühle standen nun unter freiem Himmel. Auf dem Stubenschrank befand sich noch eine Kaffeekanne, die ein Soldat als Zielscheibe benutzte und zerdepperte. Am nächsten Morgen stürzte die Decke tatsächlich ein. Fenster und Türen konnten noch vor den Flammen gerettet werden.
Ich kann mich gut erinnern, dass ich Oma gegen Abend mithalf, unseren Opa zu suchen. Jemand hatte gesehen, dass er mit einem Strick in den Wald ging. Oma rief, aber wir fanden ihn nicht. Am nächsten Morgen kam er wieder nach Hause. Er hatte sich im Moor versteckt.
Unser Häuslingshaus, das hinter dem Wald stand und von Familie Garbers bewohnt war, brannte auch noch ab. In dem Torfschuppen qualmte es, als Oma und ich vorbeikamen. Oma holte Wasser. Als sie es auf den Qualm goß, schlug eine große Flamme hoch und der ganze Schuppen stand in Flammen. Das Feuer erfasste auch das strohgedeckte Wohnhaus und brannte es völlig nieder. Auch die Schweine verbrannten.
Eine Kuh wurde noch angeschossen. In die Giebelwand von Weselohs und Behrens Haus waren unzählige Löcher geschossen worden.
Insgesamt brannten in Klein Deepen neun Gebäude ab und einige in Groß Deepen. Da unser Wohnhaus 1914 massiv gebaut worden war, blieben die Außenwände stehen. Das Wohnhaus unseres Häuslingshauses Nr. 5 a wurden mit Nebengebäude vollig zerstört. Bei Neeper Nr. 4 wurde die Holzscheune ein Raub der Flammen, bei Miesners Nr. 3 brannten das Wohnhaus und die Holzscheune total nieder; bei Tampen Nr. 9 brannten das Wohnhaus mit Stall sowie die Scheune und ein Schuppen völlig ab. Kühe und Pferde darin verbrannten auch. Die verbrannten Tiere wurden im Keenmoor auf dem Grundstück von Wichern und Tampen eigekuhlt.
Es galt jetzt für uns, eine Unterkunft zu finden. Mama und ich konnten bei Neepers schlafen; Oma und Opa schliefen in der Häckselkammer der Scheune. Unsere Küche richteten wir in der Futterküche unseres Schweinestalls ein. Langsam wurde mit dem Aufräumen und dem Wiederaufbau begonnen. Das Baumaterial musste auf Umwegen beschafft werden. Gegen Wurst,Speck und Lebensmittel konnten Nägel, Zement und anderes getauscht werden. Das Bauholz für den Dachstuhl schlugen Zimmerleute aus Lauenbrück bei uns im Wald, sägten es auf dem Hof und verarbeiteten es dann. Die halbe Dachfläche unseres Wohnhauses konnten wir zunächst nur mit Dachpfannen aus Zement eindecken, da so viele Pfannen nicht zu bekommen waren. Die andere Hälfte wurde mit Stroh gedeckt. Weihnachten 1946 sind wir wieder in unser Haus eingezogen.In der Zeit nach dem Krieg kamen viele Menschen aus den Städten auf die Dörfer, um Kartoffeln und andere Lebensmittel zu hamstern oder einzutauschen. Ich kam auf diese Weise zu meiner ersten Federmappe mit vielen Farbstiften. Die Züge, die aus Bremen und Hamburg kamen oder dorthin zurückfuhren, waren immer voll besetzt. Alle Fahrgäste hatten Taschen und Rucksäcke bei sich, die sie voll mit Lebensmitteln nach Hause brachten. Einige Hamsterer kamen regelmäßig und freuten sich dann über eine warme Milchsuppe, Bratkartoffeln oder eine Speckschwarte.
(veröffentlicht in „Ostervees in ole un nee’e Tieden“, Ortsrat Ostervesede 2006)