Ein Unbekannter klebt Kaffeebohnen auf Eier und hält damit 2001 ein ganzes Dorf in Atem.
Das Beweisstück liegt geduldig auf dem Wohnzimmertisch und wirft pausenlos Fragen auf. Im ganzen Dorf. „Hätte jemand einfach ein Ei vor die Tür gelegt, würde sich keiner großartig Gedanken machen“, sagt Ortsbürgermeister Wilhelm Heins. Die Sachlage ist jedoch eine andere. Auf dem Ei, das Heins vor seinem Haus entdeckt hat, ist eine Kaffeebohne festgeklebt. Derlei Exemplare sind in Westervesede vor neun Tagen zum ersten Mal aufgetaucht. Und das nicht nur beim Bürgermeister – zuerst im Dorfgemeinschaftshaus, dann immer wieder vor den Türen von Privathaushalten und Höfen. Mal mit einer Kaffeebohne darauf, auch mal mit dreien und angeblich auch vereinzelt mit Rosinen verziert. Meist morgens in aller Frühe oder abends, wenn längst alles dunkel ist, werden die leicht zerbrechlichen Lebensmittel vor den Türen gefunden. Seitdem klingelt bei Heins das Telefon. Und der staunt nicht schlecht. Auf so eine Angelegenheit im Dorf ist schließlich auch der Bürgermeister nicht eingestellt. Oder doch? „Nein, man muss aber Allround-Mensch sein und die Sache sorgfältig im Auge behalten.“ Genau das macht Heins ohnehin. Von zehn bis zwölf Bürgern mindestens weiß er, dass sie mit einem präparierten Ei überrascht wurden. Die Gerüchteküche besagt, dass sich im Scheeßeler Holz sogar ein Nest mit Kaffeebohneneiern befinden soll. Erika Heins bringt Ruhe in die Aufregung und schenkt erst mal eine Tasse Kaffee ein, kann sich dann einen Scherz nicht verkneifen: „Zur Feier des Tages hätte ich eigentlich ein Ei backen müssen.“ Am Tag zuvor, berichtet die Westervesederin, habe sie sich mit Freundinnen zum Knütteln getroffen. Eine von denen habe eins der Eier zuhause in die Pfanne geschlagen und gegessen. Und das sei, so habe die gesagt, sehr frisch gewesen. Heins kann das nicht nachvollziehen, sieht die Sache kritisch und vorsichtiger. Er hofft auf einen Gag. Und überlegt hin und her. Das Ganze könne bestenfalls eine Einladung sein zum Kaffeetrinken, bei drei Bohnen wären das demnach, so Heins, Einladungen zu drei Kaffeetrinken. „Die Sache muss eine Bewandtnis haben“, sagt Heins. Ältere Menschen im Dorf hat er schon befragt, ob vielleicht ein Brauch dahintersteckt. Fehlanzeige. Auch den Rosenmontagsverein hat er schon zu Rate gezogen, ob die Angelegenheit jecker Natur ist. Fehlanzeige. Szenenwechsel. Auch beim Lebensmittelgeschäft Gutkauf lag ein Ei mit Bohne vor der Tür und hat für Irritation gesorgt. Vor ein paar Tagen schon. Morgens gegen fünf Uhr. Das Thema ist immer noch allgegenwärtig im Laden. Eine alte Dame mit Kopftuch, die ihren Einkaufskorb mit Erdnuss-Flips, Zitrone und Schokopudding füllt, hatte noch nichts von den erstaunlichen Geschehnissen gehört. „Das macht einem ja Angst“, sagt sie. Dann berichtet die Westervesederin davon, dass eine alte Tradition im Dorf das „Koffer festsetzen“ sei. Junge Menschen gingen dabei von Tür zu Tür und bäten um Eier. So wie Knechte und Mägde früher, die die Höfe wechselten. Das sei allerdings immer am Sonntag nach Ostern und ein Besäufnis. Die Tür des Ladens geht auf. Wilhelm Heins steht da. Was er mitteilen muss, ist ihm schon anzusehen: Seine Frau hat ein weiteres Ei entdeckt. Das liegt mit drei Bohnen drauf vor der Haustür im Kohlhofe 3. Der Bürgermeister schüttelt den Kopf: „Die Sache ist mysteriös.“ Heins steigt ins Auto. Er wird dranbleiben.
In einem Dorf wie Westervesede, da kann man nichts lange unter dem Deckel halten. So äußerte sich der Ortsbürgermeister vor nunmehr 17 Tagen in einem Pressegespräch und er lag falsch.
Wer die Eier mit Kaffeebohnen darauf vor Haustüren in Westervesede verteilte blieb lange ungeklärt.
Fest hingegen steht, dass auch ein Fernsehteam von Radio Bremen in Westervesede, dem Zentrum des Geschehens, zur Sache recherchiert hat
Dass die Unbekannten im Hintergrund äußerst fleißig und ebenso einfallsreich agieren, bekamen gleich zahlreiche Bürger – und das vor allem in Westervesede zu spüren. Neue Adressaten für die Eier wurden via E-Mail gefunden. Gleich 121 Computernutzer staunten nicht schlecht über eine E-Mail mit dem Betreff „Ei loves you“. Der befürchtete Virus blieb aus. Dafür kamen die Eier zwischenzeitlich auch auf dem Postwege – allerdings schmerzlicherweise ohne den Hinweis „Fragile“ – schön mit Böhnchen beklebt und dazu behutsam in Stroh gelegt an.
Mit Humor wird die Sache bei der Polizei gesehen: Mit der Kennung „Akte X“ will der Rotenburger Polizeisprecher Detlev Kaldinski sie versehen wissen. Er mailte seinen Kommentar zum Thema gleich an alle Empfänger der E-Mail zurück. Kaldinski schlägt vor, alle Kaffeebohnen zu observieren – und das ungeachtet der Tatsache, dass dafür selbstredend ein großer Personalaufwand nötig sei. Er sieht durch die Beobachtung folgende Chance: „Irgendwann wird eine der Bohnen ihren Weg auf ein Ei finden. Wir sehen uns blitzschnell um, wer danebensteht. Dann greifen wir zu.“ Oder: Alle Eier würden observiert. Und dann schnappe eine Falle zu, wenn die Kaffeebohne komme. Trotzdem noch einmal zum Telefon gegriffen, weil die Sache keine Ruhe lässt. Der Westerveseder Rosenmontagsverein feiert am Samstag, 24. Februar, 19.30 Uhr, seine Prunksitzung in der Gaststätte Grobrügge und ist deshalb sehr verdächtig. Conferencier und Siebenerrats-Mitglied Rainer Bassen geht an den Apparat. Und der Überraschungsmoment kann am anderen Ende der Leitung verbucht werden. Also schnell die Frage: „Haben sich die Karnevalisten eine neue recht ungewöhnliche Öffentlichkeitsarbeit als Werbung für das närrische Treiben überlegt?“ Bassen muss lachen. Dem sei nicht so, sagt er. Das Thema muss nicht groß angesprochen werden. Ob Bassen das mit gutem Gewissen sagen kann? Er kann. Das Ganze sei definitiv keine Aktion vom Siebenerrat, auch nicht von den zwei Ehemaligen, die noch im Vorstand mitmischten. Allerdings hegt Bassen den Verdacht, dass sich das Mysterium bei der Prunksitzung aufklärt, was wiederum auch gute Werbung ist. Dass Akteure, die Programmpunkte beisteuern, die Bohnenkleber sind, kann er sich vorstellen.
Eiergeheimnis auf der 24. Prunksitzung des Veeser Rosenmontagsvereins (VRV) gelüftet
„Ich freue mich, dass ich ein Hähnchen bin“, sang der Hahn, der mit fünf Hühnern (Frauen aus der Straße Im Vieh) auf die Bühne kam. Und die berichteten nicht nur Neues von der Stange, sondern lüfteten endlich auch das Westerveseder Eier-Geheimnis: „Wir wollten eigentlich nur auf den Karneval und uns Hühner aufmerksam machen.“ Die Kaffeebohne stehe für den Club Schwarze Bohne. Die Fünf Frauen trinken ihren Kaffee immer nur schwarz. Was nicht unwesentlich wäre, hieße ihr Club doch nach dieser Gewohnheit „Schwarze Bohne“ – Kaffeebohne eben.
Mit Sparschweinen wurde anschließend Geld für die Erdbebenopfer in El Salvador gesammelt.
Während der Prunksitzung kamen 500 Mark zusammen, die Gage der Hühner für ihren Auftritt sowie einige 100 Mark von Internet-Spendern erbrachten insgesamt rund 1.000 Mark für den guten Zweck. Große Freude herrschte dann, als Rotenburgs Famila-Chefin, noch einen Spenden-Scheck über 333,33 Mark (aus einer Famila-Aktion im Herbst) überreichte.
(Quelle: Archiv der Rotenburger Rundschau)