Gemeindeversammlung vor hundert Jahren.
Bis vor wenigen Jahren war es in Westervesede so: wenn eine Gemeindeversammlung angesetzt wurde, so schickte der Bürgermeister einen Laufzettel durchs Dorf, der von Haus zu Haus weitergegeben werden musste. Häufig genug kam es vor, dass er irgendwo liegen blieb und die ganze Benachrichtigung stockte.
Eine ähnliche Art der Benachrichtigung gab es schon vor hundert und mehr Jahren in Westervesede und wahrscheinlich auch in anderen Orten unserer Region. Wollte der „Burvogt“, wie der Bürgermeister hieß, seine Gemeindemitglieder zu einer Versammlung, der sogenannten „Buerstäe“ (Bauernstelle) zusammen rufen, so ließ er einen Stock von Haus zu Haus gehen, denn wegen der allgemeinen Unkenntnis im Lesen konnte er schriftlich nichts bekannt machen. Sollten nur die Bauern erscheinen, so steckte er ein Querholz durch den Stock, sollten auch die kleinen Leute kommen, so wurden zwei Querhölzer hindurch gesteckt. Bis etwa 1885 war dies die übliche Art der Benachrichtigung in Westervesede.
Gemeindevorsteher / Bürgermeister
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Dass auch damals schon „Pannen“ im Weiterbringen der Nachricht auftraten zeigt ein Vorfall, von dem Röhrs Vadder (Westervesede Nr. 75, geb. 04.09.1878, gest. 22.04 1963) 1949 im Alter von 71 Jahren noch zu berichten wusste:
Schröers (Nr. 6) Bauer kommt spät abends von der Feldarbeit nach Hause und setzt sich im Fleet ans Feuer. Da hört er an der Stuhllehne etwas klappern und sieht den Versammlungsstock dort hängen. „Watt?“ ruft er, is vondag Burstäe?“ „Ogottogott“ jammern die Frauen, „dat hewt wi jo ganz vergäten!“ Und eilig muss alles, was Beine hat, in die Dunkelheit hinaus und überall Bescheid sagen. ( Aus „Chronik Kirchspiel Scheeßel, 1997)
Die Versammlungen fanden meist in der Schule, vereinzelt auch beim Burvogt statt. Später wurden sie dann in die Gastwirtschaft verlegt.
Ursprung der modernen, von den Bürgermeistern heute repräsentierten Selbstverwaltung ist die Stein´sche Städteordnung von 1808. Hierdurch erhielten Bürger erstmals demokratische Mitwirkungsrechte.
Durch die Hannoversche Städteordnung (1851/58) bzw. die Landgemeindeordnung (1852/59) wurden erstmalig in der Geschichte Stadt- und Gemeindeverwaltung im Hannoverschen einheitlich geregelt.
Organe der Gemeindeverwaltung waren danach die Gemeindebeamten, und zwar der Gemeindevorsteher und ein oder mehrere Beigeordnete und die Gemeindeversammlung, die sämtliche stimmberechtigten Gemeindemitglieder umfaßte. Besondere Aufgaben wurden wahrgenommen von Gemeindedienern (Nachtwächter, Feldhüter u.a.) die besoldet wurden. Der leitende Gemeindebeamte wurde bis 1933 als “Vorsteher” bezeichnet; damit fiel der für unsere Gegend altherbrachte Ausdruck “Bauernmeister” weg.
Die Gemeindebeamten hatten ihr Amt als Ehrenamt aufzufassen; für Reisen außerhalb des Gemeindebezirks konnten sie allerdings eine angemessene Vergütung beanspruchen. Auf Gemeindebeschluß konnte ihnen aber auch eine “mäßige Besoldung” zugebilligt werden. Die Gemeindebeamten wurden unmittelbar und mit absoluter Mehrheit von der Gemeindeversammlung für mindestens sechs Jahre gewählt.
In der Gemeindeversammlung waren stimmberechtigt: a) alle Besitzer eines Hofes oder Wohnhauses, b) alle Männer, die in der Gemeinde wohnberechtigt waren und einen eigenen Haushalt führten. Nicht stimmberechtigt waren zu schweren Strafen verurteilte, in “Kost und Logis” stehende, “in Konkurs gefangene” und wer öffentliche Armenunterstützung erhielt. Sein Stimmrecht nicht ausüben durfte zudem, wer die Gemeindelasten nicht mittrug und mit seinem Beitrag im Rückstand war. Die Stimmberechtigten waren in Klassen eingeteilt, das “Stimmgewicht” der Mitglieder einer Klasse war im wesentlichen durch den Beitrag zu den Gemeindelasten bestimmt.
Das Stimmrecht der einzelnen Einwohner war sehr unterschiedlich und richtete sich nach dem Steuerfuß. Wer die meisten Steuern zahlte, hatte auch das größte Stimmrecht. Je nach Höhe des Steuerfußes hatten die Wahlberechtigten in Westervesede von einer bis zwölf Stimmen. Nach einem Gemeindeprotokoll aus dem Jahre 1890 war die Stimmenzahl folgendermaßen verteilt: 1 Bauer mit 12 Stimmen, 6 Bauern mit 10, 6 Bauern mit 8, 3 Bauern mit 6, 4 Bauern mit 5, 7 Anbauern mit 4, 22 Anbauern mit 2, 16 Anbauern mit 1,Pächter mit 1, Häuslinge mit 1. Insgesamt waren 67 Gemeindemitglieder mit 247 Stimmen stimmberechtigt .
Dieses unterschiedliche Stimmrecht wurde letztlich erst im Jahre 1935 mit dem Erlass der Deutschen Gemeindeordnung abgeschafft. Von da an hatte jeder Einwohner das gleiche Stimmrecht, nämlich nur eine Stimme.
Nach der Märzrevolution des Jahres 1848 wurde im Königreich Hannover eine Landgemeindeordnung erlassen (28.04.1859), nach der erstmalig landesweit einheitlich die Verwaltung von Gemeindeangelegenheiten geregelt wurde.
Organe der Gemeindeverwaltung waren, der Gemeinde-vorsteher mit ein oder zwei Beigeordneten und die Gemeindeversammlung; die Gemeindebeamten wurden in der Gemeindeversammlung (siehe unten) in unmittelbarer Wahl mit absoluter Mehrheit auf mindestens sechs Jahre gewählt. Sie versahen ihr Amt ehrenamtlich; auf Gemeindebeschluss hin konnte ihnen allerdings eine „mäßige Besoldung“ zugebilligt werden.
Das Ehrenamt des Vorstehers war offensichtlich nicht besonders begehrt; obwohl die Besitzer großer Höfe die Stimmenmehrheit hatten, waren sie selten auf den Vorsteherposten zu finden. Neben der schweren und zeitaufwendigen landwirtschaftlichen Arbeit fanden sie wohl auch kaum die Muße, sich mit behördlichen Vorschriften und Anordnungen zu beschäftigen, Steuern einzutreiben, Sitzungsprotokolle zu verfassen und weitere übertragene Aufgaben zu erledigen.
Die Zeit der nationalsozialistischen Diktatur bedeutete das Ende der kommunalen Selbstverwaltung. Es galt das “Führerprinzip”. Die Gemeindeparlamente wurden quasi abgeschafft: der Gemeindevorsteher war nicht mehr gewählter Vertreter seiner Gemeinde, er wurde nunmehr vom Landrat bestellt und hatte dessen Weisungen auszuführen. Der Gemeinderat hatte lediglich beratende Befugnisse. Letzlich bestimmte und überwachte die NSDAP die Arbeit der Gemeindebeamten.
Nach dem Ende des zweiten Weltkrieges schuf die die britische Militärregeirung eine revidierte Gemeindeordnung (1946) mit einer Prägung nach dem englischen Gemeinderecht; diese “Norddeutsche Ratsverfassung” begründete die Allzuständigkeit des Rates. Ratsvorsitzender war ein ehrenamtlicher Bürgermeister; die Verwaltung oblag als Hilfsorgan einem Gemeindedirektor, der die Beschlüsse des Rates vorzubereiten und anschließend mit seinen Mitarbeitern umzusetzen hatte.
Eine Weiterentwicklung erfuhr die kommunalen Selbstverwaltung durch die Niedersächsische Gemeindeordnung von 1955 und ihrer Neufassung von 1982.
Ein besonderer Einschnitt war die seit den 50er Jahren erwogene und 1973/74 vollzogene Gebietsreform auf der Gemeindeebene. Scheeßel wurde Einheitsgemeinde; die ihr angeschlossenen – ehemals selbstständigen – Ortschaften erielten einen Ortsrat mit einem Ortsbürgermeister, die nur noch Hilfsfunktionen für die Gemeinde ausüben die im Wesentlichen aus der Pflege der dörflichen Gemeinschaft bestehen.
(Quelle: Gemeindevorsteher und Bürgermeister im Landkreis Rotenburg … , 1992 Landkreis Rotenburg (Wümme)