(HollandgängerDorfgeschichte II. – Die Zeit der Agrarreformen und Einflüsse der industriellen Entwicklung
Die Gemeinheitsteilung
Seit Mitte des 18. Jahrhunderets gab es von staatlicher Seite aus steuerpolitischen Gründen immer wieder die Bestrebung, landwirtschaftliche Reformen in Gang zu setzen, verstärkt wurden diese durch die in der Aufklärung begründeten Auffassung, dass alle Menschen gleich, vernünftig und gut seien und mithin Bauern nicht länger in einem Abhängigkeitsverhältnis zu ihrem Grundherrn stehen dürften.
Erst durch die „Ordnung über die Theilung der Allmende und Verkoppelung der zerrissenen Felder … vom 26. Juli 1825″ gelang es im Rahmen einer Generalteilung die Gemeinheitsflächen (Allmende) der einzelnen Gemeinden zunächst festzulegen und danach im Rahmen der Spezialteilung diese Flächen auf die einzelnen Berechtigten aufzuteilen. Parallel hierzu wurden in der Verkoppelung, die bisher vielfach zersplitterten Ackerflächen zu zusammenhängenden Einheiten zusammengefaßt.
Eine entscheidende Veränderung brachte erst die Verkoppelung (heute mit der Flurbereinigung vergleichbar) mit sich. Für Westervesede wurde hierzu der Antrag am 16. November 1843 gestellt, woraufhin die gesamten privaten und gemeinschaftlich genutzten Grundstücke an Acker, Wiesen, Weide, Heide und Moor geteilt und verkoppelt wurden. Ausgenommen war nur das Gemeindeholz, das heute noch als Interessenforst im Gemeinbesitz der 19 ältesten Bauernstellen ist. Um bei der Neuverteilung gerecht verfahren zu können, wurden die Flächen in Güteklassen eingeteilt. Dazu wurde als Maßstab die „Kuhweide“ festgesetzt, und zwar war dies die Fläche, „auf der eine Kuh dauernd satt werden konnte“. Je schlechter daher das Land war, desto größer war die Fläche.
Erst durch die Verkoppelung und die Ablösung der Meiergefälle erhielt der Hofbesitzer das uneingeschränkte Verfügungsrecht über seinen Hof zugebilligt, was auch als gesetzliche Regelung in der „Höfeordnung von 1874“ festgelegt wurde. Erst jetzt konnte verwirklicht werden, was hunderte von Jahren nicht möglich war: die Ansiedlung neuer Hofstellen. Eigentümer der Höfe und Ackerflächen waren bisher nicht die Bauern – Eigentümer waren die Grundherren: Adlige, die Kirche und ggf. auch Klöster. Die Rechtsverhältnisse zwischen ihnen und den Bauern wurden u.a. durch das Meierrecht geregelt. Die Bauern saßen danach auf ihren Höfen in einer Form Erbpachtrecht und hatten gegenüber den jeweiligen Grundherren Dienste und Abgaben zu leisten. Wald. Moor, Bruch und Ödlandflächen gehörten zur Allmende und wurden von allen gemeinsam genutzt.
Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts wurde der größte Teil der Flächen in der Gemarkung Westervesede von allen Bauern gemeinsam bewirtschaftet; dies galt für Wiesen, Heide, Moor und Bruch, aber auch für die Wälder, in denen die Schweine gehütet wurden, da dort reichlich Eicheln zur Maste zu finden waren. Lediglich die Ackerflächen, der Wischhof und die Hofflächen waren im Besitz der einzelnen Bauern. Der größte Teil der Flächen der Gemarkung Westervesede von allen Bauern gemeinsam bewirtschaftet, und dies galt für die Wiesen, Heide, Moor und den Bruch, aber auch für die Wälder, in denen die Scheine gehütet wurden, da dort reichlich Eicheln zur Mast zu finden waren. Lediglich die Ackerflächen, der Wischhof und die Hoffläche waren im Besitz – nicht aber im Eigentum – der einzelnen Bauern.
Solange der Gemeinbesitz allen gehörte, war niemand bereit gewesen, davon etwas abzugeben. Jetzt konnte jeder Bauer frei über seinen Besitz verfügen und Brüdern, Söhnen oder anderen Verwandten die Möglichkeit zur Hofgründung geben oder Land verkaufen.
Waren zu Beginn des 19. Jahrhunderts auch nur 19 Hofstellen vorhanden, so gab es 1880 bereits 64 Gehöfte mit Viehhaltung.
Ein dritter Schritt der Agrarreform war die Ablösung der grundherrschaftlichen Lasten mit der „Verordnung über die bei der Ablösung der grund- und gutsherrlichen Lasten und Regulierung der bäuerlichen Verhältnisse zu befolgenden Grundsätze“ vom Juli 1833.
Die Ablösungsverordnung sah hierfür den 25fachen Jahresbetrag aller bisherigen Verpflichtungen des Meiers gegenüber seinem Grundherrn vor.
Da viele Bauern diese Beträge kurzfristig nicht erwirtschaften konnten, wurde die „Hannoversche Landeskreditanstalt“ geschaffen, die den Bauern langfristige Kredite gewährte.
Auf Grund der schwierigen Verfahrensweise kam es auch häufiger zu Streitigkeiten, so dass sich das Verfahren für Westervesede von 1844 bis 1860 hinzog.
Mit dem Abschluss Gemeinheitsteilung und der Verkoppelung stellten sich die Dörfer in einem völlig neuen Bild dar. Die Ackerstücke waren zu großen Einheiten inmitten eines völlig neu ausgebauten Wege- und Grabennetzes zusammengelegt und die Aussiedlung von Bauernhöfen aus dem eng begrenzten Dorfkern in die Feldflur setzte ein.
Wie sehr sich das Landschaftsbild geändert hat kann man bei einem Vergleich der Karten erahnen.
Die Verkoppelung hatte aber auch mit sich gebracht, dass jeder nach seinem Gefallen roden, pflügen und ernten konnte und die Flächen somit auch intensiver und rationeller bewirtschaftet werden konnten. Für die Ansiedlung weiterer Höfe, war es notwendig, Moor- und Heideflächen zu kultivieren. Eine Intensivierung der Landwirtschaft und die Bewirtschaftung der bisher nicht beackerten Flächen war aber nur möglich, weil außer dem einfachen (Einschar-)Pflug und dem Düngen mit dem natürliche Mist neue Techniken zum Einsatz kamen.
siehe auch:
Dampfpflug ; anorganischer Dünger
Mit großer Mühe wurden die neuen Flächen umgebrochen, entwässert und besät. So verringerte sich die Heidefläche in der Gemarkung Westervesede mit jedem Jahrzehnt. Heute sind hier kaum noch Heideflächen vorhanden. Moorflächen gibt es auch heute noch auf dem „Grevelsmoor“, wo noch bis Anfang der 1960er Jahre Torf gestochen wurde. Dieser Torf diente zu allen Zeiten für Heizzwecke und war für die Einwohner des Ortes gerade zu Kriegszeiten und in den Jahren danach besonders wertvoll, , denn die damals zugeteilten Rationen an Heizmaterial reichten in den strengen Wintern nicht aus. Der im „Wittmoor“ gewonnene Torf bot da eine gute Alternative.
Doch nicht für jeden Bewohner des Ortes bestand im 19. Jahrhundert die Möglichkeit, in der Landwirtschaft zu arbeiten und Geld zu verdienen, und auch im Bauhandwerk war die Zahl der Arbeitsplätze begrenzt. Gerade auch für kleine Höfe war es schwierig, über die Runden zu kommen, und so versuchten einige Männer aus Westervesede das schmale Brot, das der karge Heideboden zu damaliger Zeit hergab , durch Gelegenheitsarbeit (Saisonarbeit) etwas aufzubessern. Im Sommer zur Heuerntezeit wurde dann die Sense mit Zubehör eingepackt, ein Stück Brot und Speck in den Rucksack getan und über Bremen in Richtung Holland marschiert. Im Raume Dockum, Groningen und Westfriesland wurde für die dorigen Bauern, die wohl bereits eine andere Wirtschaftart kannten, Gras gemäht. Es war eine harte Arbeit, die schon einige Fähigkeiten erforderte. Aus glaubhafter Überlieferung wird gesagt, dass einige Männer auf dem Hinweg in Bremen in einem Kaufhaus einen Beutel Reis (10-20 kg) kauften und diesen an die Familien zurückschickten. Dieser Reis soll dann auf dem Rückweg von dem verdienten Geld bezahlt worden sein.
(siehe auch: (Hollandgänger)
Andere sahen hier in ihrer Heimat keine Zukunft und wanderten aus. (siehe: Auswanderer)
So ist es aus der Zeit unserer Urgroßeltern überliefert, aber die Empfindungen der damaligen Menschen, die sich mit einer heute unvorstellbaren Armut abquälen mussten, können wohl nicht wiedergegeben werden.
Eine entscheidende Änderung für Westervesede schien sich anzubahnen, als es im Jahre 1870/71 um die Planung der Eisenbahnstrecke Bremen – Hamburg ging. (Karte) Diese sollte nämlich aus der Richtung Süden über Rotenburg, Veerse, Westervesede, Ostervesede und Fintel nach Hamburg führen. Dies hätte für Westervesede und die verkehrsmäßige Anbindung an die beiden Großstädte dargestellt, und wäre die Grundlage für industrielle und gewerbliche Ansiedlung gewesen. Wie es in der Überlieferung heißt, sollen bereits die Schneisen für die Bahnstrecke geschlagen gewesen sein, und auch die Steine für den Bau eines Bahnhofes waren bereits gekauft, als die Streckenführung auf Wirken des Grafen Hans-Ludwig Adolf von Bothmer aus Lauenbrück noch einmal hin zur jetzigen Linie geändert wurde. Die gekauften Steine sollen dann später für den Bau der Schmiede Riepshoff verwandt worden sein.
So blieb es denn auch in Westervesede bei der durch und durch landwirtschaftlichen Struktur. was aber auch Gutes mit sich brachte, denn so blieben die örtlichen Gegebenheiten, die Sitten und Gebräuche erhalten.
Sitten und Gebräuche
Das familiäre und das dörfliche Geschehen fand fast ausschließlich auf den Höfen selbst statt, allein schon um möglichst kurze Verkehrsstrecken zu haben, da man damals ja noch keine motorisierten Verkehrsmittel kannte und auch die Wege nur Sandwege oder bestenfalls mit Feldsteinen gepflasterte Straßen waren.
Straßenbau) (Artikel folgt)
Ein Stück „Industrie“ brachte der Schmiedemeister Heinrich Riepshoff aus Sittensen Ende des 19. Jahrhunderts in unseren Ort. Da es damals keine Schmiede in Westervesede und Umgebung gab, witterte er hier eine Marktlücke, kaufte sich im Jahre 1889 ein Stück Land und erbaute im Jahr darauf eine Schmiede und gleich nebenan eine Zimmerei mit Sägegatter. Zusammen mit dem Tischlermeister Johann Kröger, der sich eine Werkstatt über der Schmiede eingerichtet hatte, wurden von nun an landwirtschaftliche Maschinen aller Art, in der Hauptsache aber Göpel und Dreschmaschinen gebaut.
Nach einem Brand am 14. Januar 1925 wurde das inzwischen zu einer Maschinenfabrik angewachsene Unternehmen wieder aufgebaut, so wie das Gebäude heute noch zu sehen ist. Da mit der Zeit immer weniger Holzteile an den Maschinen verwandt wurden, stieg Johann Kröger aus dem Unternehmen aus. Nach dem Tode des Heinrich Riepshoff am 4. Januar 1936 sollte der einzige Sohn Heinrich Riepshoff die Fabrik weiterführen. Als dieser jedoch im zweiten Weltkrieg fiel, war damit das Ende der Maschinenfabrik Riepshoff & Kröger gekommen, das sich weit über die Grenzen des Ortes und des Kirchspiels einen Namen gemacht hatte.
Doch nicht nur in dieser Familie hinterließ der Krieg schwere Wunden. Aus fast jeder Familie des Ortes starben Angehörige in einem der beiden Weltkriege oder wurden vermisst. So kamen von 71 Teilnehmern des 1. Weltkrieges 23 Männer nicht wieder zurück. Im zweiten Weltkrieg waren es sogar 39, die gefallen und vermisst waren.
Ihnen allen zum Gedenken, in der Hoffnung, dass es nie wieder Krieg geben möge, sondern es vielmehr zu einer Verständigung und einem dauerhaften Frieden zwischen den Völkern kommen werde, wurde neben dem Friedhof ein Ehrenmal errichtet, wo die in 46 Felsbrocken eingekerbten Namen der und Vermissten an die Kriegszeiten erinnern.